Im Lateinischen hat das Wort „pauper“ die Bedeutung von „arm“. „Pauperes“ bezeichnet die Gruppe der Armen. Historisch taucht der Begriff des Pauperismus zunächst im Mittelalter zur Beschreibung der selbst gewählten Armut christlicher Mönche wie Franz von Assisi (1181-1226) auf. Ihnen galt die Armut (lateinisch: „paupertas“) als Idealzustand in größtmöglicher Nähe zu Jesus Christus.
Allgemein werden mit dem Pauperismus die Massenarmut und das Auftreten von Armutszuständen in bislang ungekanntem, epidemischem Ausmaß beschrieben, wie sie in dieser Form erstmals zu Beginn des 19. Jahrhunderts beobachtet wurde.
Insbesondere die Landbevölkerung war von der als „Pauperismus“ beschriebenen Verarmung betroffen. Fast überall in Deutschland zogen Wanderarbeiter und Bettler durch das Land und versuchten, ein Auskommen zu finden und ihr Überleben zu sichern.
Die Not der unteren Schichten war so offensichtlich, dass permanent Schriften über den »Pauperismus« entstanden. Allein in Deutschland erschienen von 1822 bis 1850 etwa 600 Texte, die die grassierende Armut anklagten.
Ulrike Herrmann in "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung"
1846 war der Begriff „Pauperismus“ laut der Brockhaus Real–Enzyklopädie in Deutschland ein noch unbekanntes Wort. Der Brockhaus beschreibt den Begriff als einen „neuerfundenen Ausdruck“, mit dem man die unheilvolle Erscheinung der Massenarmut oder des Armentums bezeichne. Im Unterschied zu der „natürlichen “ Armut oder Dürftigkeit, die als Folge physischer, geistiger oder sittlicher Gebrechen immer wieder einmal einzelne Individuen befalle, verbleibe beim Pauperismus keinerlei sichere Grundlage für den Lebensunterhalt. Pauperismus erscheine dort, wo eine große Gruppe des Volkes auch bei angestrengtester Arbeit höchstens ein notdürftiges Auskommen habe, sich zugleich aber weiter „in reißender Schnelligkeit ergänzt und vermehrt.“
Inhalt
Wann entstand der Pauperismus?
Die Anfänge des Pauperismus liegen im starken Bevölkerungswachstum zum Ende des 18. Jahrhunderts um das Jahr 1750, als in Europa der erfolgreiche Anbau der Kartoffel zu einer Explosion der Agrarwirtschaft und zunehmende Bevölkerungszahlen sorgte.
Viele Faktoren trugen dann in den Folgejahren zu einer rasanten Verschlechterung der Versorgungslage der Landbevölkerung bei.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts - ab dem Jahr 1825 - bis zum Jahr der Revolution 1848 blieb der Pauperismus ein durchgehend wahrnehmbares und theoretisch erörtertes gesellschaftliches Phänomen. Es kostete Millionen von Menschen in Kontinentaleuropa und Großbritannien das Leben und ließ weitere Millionen von Hungernden und Notleidenden verelenden.
Erst mit der Flüchtlingsbewegung vieler Iren, Engländer, Deutscher und anderer Europäer in Richtung der Vereinigten Staaten von Amerika wanderten große Gruppen verarmter Europäer ab.
Das führte zu einer Entspannung der Versorgungslage und trug zu einem Abklingen der Massenarmut bei. Zeitgleich wurden mit dem einsetzenden Eisenbahnbau und dem Ausbau der anhängigen Kohle und Stahl verarbeitenden Industrien ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland wieder in größerer Zahl Arbeitskräfte benötigt. Viele verarmte Bauern, arbeitslose Handwerker und Tagelöhner fanden so ein neues Auskommen.
Wie entstand der Pauperismus?
Für die Entstehung des Pauperismus waren viele Faktoren gemeinsam ausschlaggebend.
Mit dem erfolgreichen Anbau der Kartoffel in Zentraleuropa verzeichnete die Landbevölkerung zu Ende des 18. Jahrhunderts zunächst große Prosperität und einen enormen Bevölkerungszuwachs. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts geriet dann aufgrund von jahrelanger Überproduktion der Absatz von Agrarprodukten ins Stocken. Ein Preisverfall setzte ein. Der angeschlagene landwirtschaftliche Sektor konnte der hohen Zahl der Bevölkerung nicht ausreichend Arbeit bieten, was zu einer angespannten Beschäftigungssituation führte.
Mit der Erfindung der Dampfmaschine und des mechanischen Webstuhls setzte in England eine schnelle Industrialisierung ein. Damit erhöhte sich zugleich der Druck auf die kontinentaleuropäische Wirtschaft. Viele deutsche Betriebe, die zuvor in der Textilherstellung Arbeitsplätze zur Verfügung stellen konnten, waren nicht mehr in der Lage, konkurrenzfähig zu produzieren und mussten ihre Arbeit reduzieren oder ganz einstellen. Damit war es auch in den Städten nicht mehr möglich, der Bevölkerung in einem ausreichenden Maß Arbeitsplätze bereitzustellen. Ständische Berufe des Handwerks wurden durch die aufkommende Maschinenarbeit zunehmend in ihrer Existenz bedroht. Noch fehlten ausreichend Fabriken und Werke, in denen Handwerker als Beschäftigte hätten eingesetzt werden können.
Die Arbeitgeber waren vor dem Entstehen der Gewerkschaften noch völlig unkontrolliert. Sie konnten die gezahlten Löhne nach Belieben drücken, was zu einem erbarmungslosen Wettbewerb um Arbeit führte, die zu jedwedem Preis erbracht werden musste.
Die Folge waren Arbeitslosigkeit und Massenarmut. Mit Beginn der Revolution in Deutschland 1848 und den einsetzenden Hungersnöten in Irland, kam es ab 1847 zu einer ersten Auswanderungswelle. Die Binnenmigration führte dazu, dass gerade die junge Landbevölkerung in die wachsenden Städte abwanderte, deren Siedlungsdichte in kürzester Zeit stark anstieg.
Der Pauperismus als Motor der Arbeiterbewegung
Aus der direkten Auseinandersetzung mit dem Pauperismus entstanden die Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels, die späteren Gründer der Arbeiterbewegung und Verfasser des Kommunistischen Manifests von 1848.
Friedrich Engels konnte als Sohn eines Wuppertaler Textilfabrikanten während seiner Ausbildung in dessen Baumwollspinnerei Ermen & Engels die Folgen der Industrialisierung im englischen Manchester als Augenzeuge beobachten.
In seiner Schrift „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ von 1845 widmet sich Engels auch der Entstehung des „Pauperismus auf dem Lande“ und führt ihn unter anderem darauf zurück, dass Dresch- und andere Maschinen in den Ackerbau eingeführt worden seien und so die menschliche Arbeitskraft verdrängt hätten. Als das Angebot an Arbeit sank, habe dann die wechselseitige Konkurrenz der Arbeiter für den bald folgenden Lohnabsturz gesorgt. Engels zitiert in seinem Aufsatz einen liberalen englischen Parlamentarier, der 1830 geschrieben habe, die Worte „englischer Bauer“ und „englischer Pauper“ seien gleichbedeutend und könnten synonym verwendet werden. Hunger, schlechte Nahrung und ein kurzes, elendes Leben mit Rheumatismus und Asthma, das im Armenhaus ende, seien ihre wesentlichen, gemeinsamen Merkmale.
"Ein englischer Bauer (d.h. Ackerbautaglöhner) "und ein englischer Pauper – die Worte sind synonym. (Friedrich Engels: Die Lage der arbeitenden Klasse in England - Kapitel 12)
Auch Karl Marx beobachtete den Pauperismus als Begleitphänomene der Industrialisierung aufmerksam und dokumentierte seine Entwicklung akribisch durch Statistiken. Noch 1858 belief sich die von ihm ermittelte Zahl der englischen Paupers auf rund eine Million.
Bild: Maschinenfabrik von Richard Hartmann in Chemnitz / Quelle: Wikipedia